Für uns, im Südwesten Deutschlands, ist es fast ein „Katzensprung“ ins Tessin. Vom Bodensee gerade einmal drei Stunden Autofahrt. So bietet sich das Tessin immer wieder an, um vor dem schlechten Wetter auf der Alpennordseite zu flüchten. Vorbereitend, für einen Workshop im Herbst, war ich wieder einmal um den Lago Maggiore unterwegs.
Früher war ich sehr häufig zum Klettern im Tessin. Im Frühling galt es die Form aufzubauen, für die Touren in den Alpen im Sommer. Zwischenzeitlich, nachdem ich das Klettern aufgegeben habe, lockt das Tessin immer noch. Jetzt zum Wandern und zum Fotografieren.
Meine Leidenschaft ist es, Wasser zu fotografieren – und davon gibt es im Tessin genug. Kaum jemand denkt, dass das Tessin der niederschlagreichste Kanton der Schweiz ist.
Im Frühling kommt dazu das Schmelzwasser aus den Bergen. Häufig wird es zwar in zahlreichen Stauseen „gefangen“ – doch hinten in den Tälern rauscht das Wasser ungehindert ins Tal.
Die beiden bekanntesten Täler sind das Valle Maggia und das Valle Verzasca. Besonders im Valle Verzasca finden sich tolle Plätze mit eindrucksvollen Felsstrukturen. Granit ist das dominante Gestein im Tessin. Man sieht es an den Häusern, Plätzen und natürlich in der Landschaft. „Hart wie Granit“ – die Redensart kennt man. Und trotzdem schaffte es das Wasser in Jahrtausenden besondere Formen in den Granit zu schaffen. Tja, „steter Tropfen höhlt den Stein“ – auch diese Redensart kennt man und trifft hier besonders zu.
Das Tessin ist geschichtsträchtig. Zahlreiche Geschichten gibt es um die Landschaft und die Menschen. In Bosco Gurin findet man die einzige Walsersiedlung in der italienischsprachigen Schweiz und damit den einzigen Ort des Tessins, im dem eigentlich Deutsch gesprochen wird. Natürlich kein normales Deutsch – sondern Walserdeutsch, ein spezieller alemanischer Dialekt.
Viele der kleinen Orte in den Bergtälern sind heute weitgehend verlassen. Die Häuser werden noch als Chalet genützt oder stehen zum Verkauf. Vor einigen hundert Jahren verdingten sich die Menschen mit Landwirtschaft, Holzwirtschaft und dem Granit ihren Lebensunterhalt.
Doch das Leben in den Bergen ist hart. Mit kälteren Wintern, zunehmender Bevölkerung, wurde es immer schwieriger, die Familie zu ernähren. Das Jugenbuch „Die schwarzen Brüder“ erzählt, basierend auf wahren Tatsachen, die Geschichte eines Tessiner Jungen, der als Kaminfegerjunge in Mailand arbeitete. Es ist eine Geschichte ähnlich, wie die der Schwabenkinder. Im späten Mittelalter waren die Menschen, die in den Bergen lebten, kaum in der Lage, ihre eigenen Kinder zu ernähren. So wurden sie zur Kinderarbeit in die Städte verkauft.
Interessant ist auch die Ortschaft Campo, tief hinten im Valle Bavonna. Im späten Mittelalter verkaufte man viel Holz. Um das Holz schnell ins Tal zu bringen, boten sich die Flüsse und Bäche an. Im Valle Bavonna staute man das Wasser und sammelte darin die Baumstämme. Dann löste man den Damm, um die Stämme mit einem Rutsch ins Tal zu bringen. Was man bei Campo nicht bedachte, ist der Untergrund. So brachte man dadurch den Hang in Bewegung und seitdem ist die Ortschaft im Rutschen, was man an den zahlreichen Rissen in den Häusern sieht. Zwischenzeitlich hat man die Bavonna teilweise durch einen Wasserstollen geführt, um das weitere Rutschen einzudämmen. Doch trotzdem rutscht das Dorf unaufhörlich dem Abgrund entgegen…
Da ich schon so viel Zeit im Tessin verbracht habe und eben die Fotografie am Wasser meine Leidenschaft ist, biete ich jetzt auch einen Workshop dazu im Tessin an. Ich freue mich sehr darauf, den Teilnehmern diese Landschaft, die Geschichte und vor allem die Fotografie am Wasser etwas näher zu bringen. Falls ihr euch dafür interessiert, gibt es hier mehr Infos zum Workshop.