Es kommt nicht so oft vor, dass ein Komet so nahe der Erde kommt, dass er mit bloßem Auge gut zu sehen und somit ein interessantes Motiv für Fotografen ist. Zuletzt waren das 1996 der Komet Hyakutake und 1997 der Komet Hale-Bopp. Allen drei Kometen ist gleich, dass sie die Sonne in einer stark exzentrischen Bahn umkreisen. Das bedeutet, dass sie nur im Abstand von mehreren tausend Jahren in die Nähe der Erde kommen. So wird C/2020 Neowise erst wieder um das Jahr 8845 das Sonnensystem besuchen.
Kometen werden oft sehr spät entdeckt. Das liegt zum einen an ihrer Größe und ihrer Zusammensetzung. Kometen kann man sich als „dreckige“ Schneebälle vorstellen. Eine Zusammensetzung aus Eis, Staub und Steinen. Wie Asteroiden sind sie Überreste der Entstehung des Sonnensystems. Die meiste Zeit rauschen sie als dunkle Kugeln durch das All. Nur wenn sie sich Sternen nähern, wie unserer Sonne, werden sie sichtbar. Das Eis beginnt zu schmelzen und die Kometen bilden einen langen Schweif.
C/2020 Neowise wurde erst am 27. März 2020 durch das gleichnamige Weltraumteleskop „Wise“ bzw. „Neowise“ entdeckt. Wise ist seit 2009 im All, um Asteroiden oder andere Objekte im Sonnensystem aufzuspüren. Nachdem das Kühlmittel (Wasserstoff) für den Spiegel weitgehend verbraucht war, wurde Wise 2011 abgeschaltet bzw. in einen Ruhezustand versetzt. 2013 wurde es dann reaktiviert (daher der Name Neowise).
Inzwischen (14.07.2020) ist C/2020 Neowise bei uns sowohl in den späten Abendstunden als auch in den frühen Morgenstunden gut zu sehen. Einzige Voraussetzung ist ein sternenklarer Himmel. „Sternenklar“ ist es aber vor allem in den Bergen. Über dem Dunst und der Lichtverschmutzung bietet sich ein weitaus eindrucksvolleres Bild auf den Sternenhimmel als im Dunst der Städte und Orte.
Daher überlegte ich mir einen Spot in etwa 2200 Meter Höhe, der auch gut, d.h. mit Seilbahn, zu erreichen ist. Denn mit dem 100 – 400mm im Rucksack und ein paar anderen Linsen, Schlafsack, Isomatte, Trinken, etwas zum Essen hat der Rucksack schnell ein Gewicht von 15 kg.
Ich checkte den Wetterbericht, der eine sternenklare Nacht vorhersagte. Nach zwei Stunden Fahrt war ich in der Nähe der Seilbahnstation und Wolken umhüllten die Berge. Ich überlegte schon umzukehren. Die Entscheidung musste schnell fallen, da in einer halben Stunde die letzte Bahn nach oben fahren sollte.
Also noch einmal die Wetterberichte und Apps auf dem Handy geprüft. Gegen 22 Uhr sollten sich die Wolken auflösen. Ich hatte schon einmal so einen guten Riecher als ich am Matterhorn war. Da war es ähnlich mit dem Wetter. Also Risiko und die 45 Franken für Bergfahrt riskiert.
Schnell hatte ich meinen Schlafplatz gefunden. Nun hatte ich erst einmal Zeit und nützte die, um etwas vorzuschlafen. Gegen 23.30 Uhr sollte Neowise gut im Nordwesten zu sehen sein. So krabbelte ich gegen 23 Uhr aus meinem Schlafsack. Zuerst ein paar Bilder von der Milchstraße Richtung Süden. Denn ich wollte auch endlich einmal das Sony FE 20mm 1.8 testen, das ich vor einigen Monaten für diesen Zweck gekauft hatte. Doch dann kam Corona und die Grenze zur Schweiz war dicht. Über meine Schulter sah ich Neowise im Nordwesten und ich lief 300 Meter über die Hochfläche, um einen besseren Blick zu haben.
Nachdem ich ein paar Bilder gemacht hatte, verkroch ich mich wieder in den Schlafsack und stellte sicherheitshalber den Wecker auf 3.30 Uhr. Gegen 4 Uhr sollte Neowise wieder gut im Nordosten zu sehen sein.
Der Wecker klingelte. Im Osten war ein leichtes Glühen des beginnenden Tages zu sehen. Und im Nordosten stand Neowise super schön über der Bergkette, die ich mir ausgedacht hatte. Alles gut. Ich konnte mir alle Zeit der Welt lassen, verschiedene Brennweiten und Objektive testen. Kein Stress. Zufrieden konnte ich mich nach einer Stunde noch einmal in den Schlafsack kuscheln und auf den Morgen warten.
Dann der Abstieg zu Fuß, der mir zwei Tage Muskelkater bescherte – aber das ist es mir wert. Solche Nächte auf einem Berg sind unvergesslich.