Für die Vorbereitung des Workshops „Landschaftsfotografie Valle Verzasca/Valle Maggia“ war ich noch einmal ein paar Tage im Tessin. Ich kenne zwar schon sehr, sehr viel dort – aber noch nicht alles. Ich denke man würde ein Leben benötigen, um wirklich jedes Tal, jeden Bach, jeden Ort und jeden Wanderweg zu besuchen. Vielleicht würde ein Leben auch nicht reichen…
Neben dem Entdecken für mich neuer Orte wollte ich aber noch einmal an bestimmten Spots die Lichtverhältnisse im Laufe des Tages genau abgleichen.
Für mich beginnt der Süden immer am San Bernardino. Ostern mussten wir noch durch den Tunnel fahren. Jetzt war der Pass offen und ich plante meine Abfahrt so, dass ich früh morgens auf dem Pass war. Der Mond hatte noch eine Ausleuchtung von 92% – ich mag es, Landschaftsbilder bei Mondlicht zu machen. Da der Tunnel wegen Bauarbeiten nachts gesperrt war, fuhren auch einige Autos über den Pass. So konnte ich auch noch ein paar Aufnahmen mit Lichtspuren der vorbeifahrenden Autos machen. Nach zwei Stunden dösen im Auto ging es weiter Richtung Lago Maggiore.
An Ostern wollte ich schon an einen Wasserfall bei Sonogno – das ist ein kleiner Ort im Valle Verzasca fast am Ende des Tals. Sonogno liegt auf 919 Meter ü.M. – da verwundert es nicht, dass an Ostern noch Schnee lag. Jedenfalls hätte man wohl Schneeschuhe gebraucht, um an den Wasserfall zu kommen.
Jetzt, ein paar Wochen später, war alles Grün. Ein schöner Weg führt von Sonogno entlang der Redorta in 20 Minuten zum Wasserfall La Froda. Der Wasserfall ist etwa 100 Meter hoch und hat am Fuß ein schönes Becken. Es gibt hier sehr viele schöne unterschiedliche Perspektiven, um den Wasserfall abzulichten.
Ein weiteres für mich neues Ziel war das Val d’Osura (Val d’Osala) – ein kleines Seitental im Valle Verzasca. Ich bin etwa drei Kilometer in das einsame Tal gelaufen. Leider kommt man sehr selten an die Osura heran, die jetzt gut Wasser führte. Im Sommer scheint der Fluss fast ausgetrocknet. Am Wegesrand fand ich zahlreiche Smaragdeidechsen, die die warmen Sonnenstrahlen aufsaugten.
Es gibt unzählige Wasserfälle im Tessin. Einige führen nur im Frühjahr Wasser, so lange noch Schnee auf den Bergen liegt. Oder nach starken Regenfällen. Ein bekannter Wasserfall ist die Cascata di Foroglio im Valle Bavona. Im kleinen Ort Foroglio findet man einige Häuser, die ursprünglich als Kornspeicher entstanden. Sie haben die für Walserhäuser typischen Mäuseplatten. Der Einfluss des nicht weit entfernten Bosco Gurin ist unverkennbar.
Neben dem Wasserfall führt ein schöner Wanderweg hinauf ins Val Canègia zur Alpe Croza. Die 200 Höhenmeter werden überraschend leicht überwunden und schon ist man bei der Alp Puntid. Nahe bei der Alp Puntid findet man eine 30 Meter große Gneißplatte, die mit Mauern ergänzt ist. Diese dienten als Unterschlupf für die Tiere und die Hirten. Es gab aber auch ganz einfache Sommeralpen, in denen die Menschen in solchen Räumen über den Sommer lebten. Splüia – werden diese Bauten genannt. Ich gehe das Tal weiter hinauf und erreiche nach 1,5 Kilometer die Alpe Gerra. Die Alpen werden heute nicht mehr betrieben. „Hungeralpen“ wurden sie genannt – Alpen am „Ende der Welt“. Auch hier findet man einige durch Trockenmauern ergänzte Gneisplatten. Da das Wetter an diesem Tag etwas unsicher ist, kehre ich hier nach einer Pause um und kehre zurück nach Foroglio.
Ich hatte noch ein weiteres Ziel im gespeichert: Weit hinten im Valle Maggia findet man die kleine Ortschaft Peccia. Hier findet sich der einzige in der Schweiz abgebaute Marmor. Umgeben von Gneis- und Granitgipfeln ist das Marmorvorkommen bei Peccia eine kleine geologische Überraschung. Etwa 620 m³ werden jährlich abgebaut – das Vorkommen reicht aber noch für viele tausend Jahre.
Auch in diesen wenigen Tagen habe wieder gesehen, dass es noch sehr viel zu entdecken gibt im Tessin…