Realität oder Schönheit

Die Bearbeitung von Bildern hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Popularität gewonnen. Ich erkenne das nicht nur an den Bildern, die ich in verschiedenen Plattformen (flickr, 500px, Facebook) sehe, sondern auch in den Aufrufen meiner Video-Tutorials auf Youtube zu Photoshop Elements.

Es gibt wenige Seiten, die ich ständig verfolge. Eine ist die Seite Fstoppers. Dort gab es vor kurzem eine Beitragsreihe mit dem Titel „The Real Versus the Beautiful“. Da ich mir selbst oft Gedanken über dieses Thema mache und auch viel in Kontakt mit anderen Fotografen bin, möchte ich gerne das Thema aufgreifen.

Die Entwicklung der Fotografie

Angefangen von den ersten Großformat-Kameras, wo die Menschen 10 Sekunden still stehen mussten, über die analogen Kleinbild-Kameras bis zur heutigen digitalen Fotografie hat die Fotografie eine unglaubliche Entwicklung erlebt. Auch in der analogen Fotografie (mit Film) war es über Langzeitbelichtung, Filter und „falsche“ Entwicklung (Cross Processing) möglich ein Bild zu schaffen, das vielleicht nicht unbedingt der Realität entspricht, aber dafür einen Geschmack trifft.

Schaut man zurück, z.B. auf die Maler der Renaissance, ist davon auszugehen, dass diese auch nicht zwingend die Realität abgebildet haben, sondern eher ein Bild, das den Geschmack der Zeit (bzw. des Auftraggebers) traf. Aber wir gehen bei einem gemalten Bild auch nicht unbedingt von der Abbildung der Realität aus.

Heute, mit der digitalen Fotografie, angefangen von der Hardware (der Kamera, dem Stativ) bis zur Verarbeitung wie Entwicklung der RAW-Daten und Bearbeitung mittels Bildbearbeitungsprogrammen bieten sich uns alle Möglichkeiten der Manipulation.

Was ist Wirklichkeit?

Die wohl schwierigste Frage, wenn man die weitere Bearbeitung von Bildern überhaupt in Frage stellt, ist die Frage nach der Wirklichkeit. Unsere Augen sind in der Lage, einen schmalen Bereich des Spektrums der Lichtwellen zu erfassen. Fledermäuse, z.B. sehen weniger mit den Augen. Sie sehen schwarz-weiß und einige Arten wohl ultraviolettes Licht. Aber hauptsächlich „sehen“ sie durch Schallwellen, die sie aussenden und deren Echo sie empfangen.

Sehen wir Bilder vom Weltraumteleskop Hubble, sehen wir Aufnahmen, die im Infrarot-Bereich oder in anderen Bereichen spezieller Wellenlängen gemacht wurden.

Eggum Beach
Eggum Beach – Polarlichter werden oft nur schwach mit dem Auge gesehen – erst durch den Sensor digitaler Kameras werden sie so stark wiedergegeben.

Was „Wirklichkeit“ ist, ist also nicht so einfach zu definieren. Natürlich könnten wir es (bezogen auf die Fotografie) auf das reduzieren, was wir mit den Augen sehen. Doch selbst hier stossen wir schnell an Grenzen. Die Iris des menschlichen Auges dient praktisch als Blende. Schnell ist sie in der Lage, sich anzupassen – auch auf den jeweiligen Blickwinkel. Ein Bild, mit sehr hohem Dynamikumfang (starkem Licht-Schatten Unterschied) kann eine digitale Kamera oft nicht ausreichend abbilden. Es gibt entweder überbelichtete oder unterbelichtete Bereiche. Das menschliche Auge ist oft in der Lage, diesen Dynamikumfang zu erweitern, wenn wir uns auf einen Bereich fokussieren.

Auch was die Fokussierung als solches betrifft: Unser Auge fokussiert, abhängig vom Abstand zum Objekt, jeweils richtig (so lange es noch in der Lage dazu ist…). Das Objektiv einer Kamera fokussiert jedoch nur ideal auf den Abstand, den wir bei der Fokussierung gewählt haben.

Mit einer langen Telebrennweite können wir Dinge in einer ganz anderen Relation darstellen. Der Mond hinter einem Objekt z.B. erscheint dann auf dem Bild riesengroß.

Ebenso ist es bei Panoramen. Das Auge und der Kopf decken durch Drehung einen weiten Bildbereich ab. Wenn nötig 180 Grad. Abhängig von der verwendeten Brennweite decken wir jedoch nur einen ganz bestimmten Bereich ab. Betrachten wir nun also eine Panorama-Aufnahme – ist es Wirklichkeit oder nicht?

Lang-Kurz
In diesem Bild wurden eine Langzeitbelichtung (Himmel) und eine kürzere Belichtung (Wellen) zu einem neuen Bild kombiniert.

Wie definieren wir Schönheit?

Was wir als schön definieren, ist stark geprägt von unserer Kultur, unserer Gesellschaft und sicher auch durch unsere Erziehung. So liegt der Begriff Schönheit jeweils im Auge des Betrachters.

Darwin stellte schon fest, dass der lange Schwanz des männlichen Pfaus nur hinderlich ist. Sowohl für die Flucht als auch für das Fliegen. Darwins Theorie der sexuellen Selektion betrachtet den Schwanz als ein Schönheitsmerkmal. Pfauenhennen fühlen sich von einem großen, symetrischen Federschwanz angezogen. Schönheit in der Natur kann also ein Vorteil zum Überleben und zur Fortpflanzung sein.

Und ähnlich ist es derzeit in der Fotografie: Schönheit (wie sie von den Betrachtern definiert wird) wirkt sich in Bekanntheit und letztendlich auch in Erfolg aus.

Die Kunst der Fotografie

Gerade in der Fotocommunity 500px sieht man inzwischen überwiegend Bilder, die stark manipuliert wurden. Die meisten erwähnen es nicht und lassen dadurch viele Betrachter im Glauben, dass das Bild so aufgenommen wurde, wie es gezeigt wird. Durch die Möglichkeiten der elektronischen Bildbearbeitung heute ist es möglich, täuschend echte Szenen zu erstellen. Wir sind verunsichert darüber, ob wir einem Foto noch glauben dürfen.

Wird es doch einmal erwähnt, dass es sich um eine Fotomontage handelt, wird das Bild von der breiten Masse häufig zerrissen und der Autor gefragt, ob er sich als Fotograf oder Bildbearbeiter versteht (einmal ausgenommen solche „Fotografen“, die nur Composings machen und dafür auch bekannt sind).

Sollten wir Fotografie neu definieren?

Sicher muss man sich von der Idee trennen, dass das Ergebnis einer digitalen Kamera die Realität darstellt. Fotografiert man in JPEG, werden die elektronischen Informationen, die der Sensor der Kamera gesammelt hat, umfangreich bearbeitet. Die meisten Betrachter der Bilder in Facebook, auf Flickr oder wo auch immer interessieren sich wenig für die Technik, die bei der Aufnahme eingesetzt wurde. Ob für die Astro-Aufnahme eine Nachführung verwendet wurde, ob es sich um ein Focus-Stacking handelt, oder was auch immer.

Jedes Foto ist die Wiedergabe einer Stimmung, die wir so empfunden haben, oder gerade empfinden. Die Diskussion um die Bildbearbeitung von Landschafts- oder Naturbildern wird sicher zunehmen mit der zunehmenden Verbreitung von Bildbearbeitungsprogrammen. Vor 15 bis 20 Jahren war die elektronische Bildbearbeitung Spezialisten vorbehalten, die dies beruflich taten. Heute, mit der Abo-Version von Adobe Photoshop CC, steht jedem mit einem halbwegs brauchbaren Computer die Türe offen.

Die Diskussion darum, was Fotografie ist, ist noch lange nicht zu Ende. Letztendlich muss jeder seinen eigenen moralischen Kompass finden und seine Grenzen definieren.

Wie steht ihr zu dem Thema?

2 Gedanken zu „Realität oder Schönheit“

  1. Hallo Thomas,
    wenn wir mal vom Fotojournalismus absehen, ist es eigentlich nicht notwendiger Weise Aufgabe der Fotografie, die Realität abzubilden. Vielmehr geht es doch – wie in anderen Spielarten der Kunst – darum, eine Idee oder Vision umzusetzen. Ich habe oft den Eindruck, dass in der Fotografie der Prozess der Entstehung im Vordergrund steht. Als abschreckendes Beispiel empfinde ich das DSLR Forum, wo fast ausschließlich auf die technischen Aspekte der Fotografie konzentriert wird. Ähnlich ist für mich die Diskussion über die Nachbearbeitung von Bildern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Casper David Friedrich jemals gefragt worden ist, welche Pinsel er benutzt hat oder ob es wirklich so war.
    Letzen Endes sollte es doch nur zwei Kategorien an Bildern geben: solche, die mir gefallen und solche, die es nicht tun. Ob ein Bild mit einem Telefon oder mit einer Großformatkamera geschossen wurde, ob es „out of camera“ gut ist oder in Photoshop bearbeitet wurde, ist sollte eigentlich egal sein.
    Wenn mich Leute fragen, ob ich meine Bilder in Photoshop bearbeitet habe oder ob ich eine teure Kamera verwende, klingt das für mich immer etwas so, als würde mir Mogelei vorgeworfen – frei nach dem Motto „Ja, wenn ich so eine Kamera hätte, könnte ich auch tolle Bilder machen…“
    Liebe Grüße,
    David

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    • Danke für den Kommentar, David. Da bin ich grundsätzlich bei dir. Aber erlebe es immer wieder auf versch. Plattformen, wie das Thema diskutiert wird (also Bildmanipulation vorgeworfen wird). Viele erwarten, dass ein Foto das Abbild der Realität ist und sind dann enttäuscht. Aber deshalb auch der Ausflug in die Frage nach der Realität…

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